Helmut Degen  1911 - 1995    

...ureigenes reflektives Musikantentum... feines spielmännisches Flair, aber immer obsiegt das Geistige...
 
(Ulrich Dalm)   

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    Die aesthetische Begründung meiner Musik  
   
Mein kompositorisches Schaffen umspannt die Zeit von 1930 - 1990, also 60 Jahre. Große Wandlungen in allem, was Musik anbetrifft, haben sich währenddem vollzogen. Sie betreffen besonders die 50er und 60er Jahre. Daß sie nicht spurlos an mir vorübergegangen sind, ist gar nicht anders möglich. Es war der zweite Weltkrieg, der alles veränderte. Die Wandlungen hatten nicht nur öffentlich-kulturellen Charakter, sondern griffen auch in das innerste Gefüge des musikalischen Seins ein.
Meine Auffassung über Musik stand von Jugend an noch in der Aesthetik des 19. und frühen 20.
Jahrhunderts: Musik ist eine geistig bzw. ideell verankerte Aussage „in Tönen bewegter Form”. Die metaphysische Bindung im irrationalen wie im religiösen Bereich war für mich ebenso entscheidend wie die soziologische. Denn die Musik braucht eine Basis im Menschen schlechthin, um extstieren zu können.
Diese in mir fest verwurzelte Auffassung war für mich bis in die Kriegsjahre hinein unumstößlich. Nur auf  d e r  Grundlage konnte ich arbeiten. Daß ich dabei den Wandel vollzog, von einer dur-tonalen Ordnung zu einer freien Tonalität, war eine zeitgebundene Forderung. Die neue geistige Basis der Ordnung, die mein Schaffen ab 1945 in jeder Hinsicht bestimmte, war nur eine etwas im Verhältnis zu vorher verschobene Ebene, auf der sich neue Gesichtspunkte für mein Schaffen ergaben. Wenn auch das musikantische Element zeitweise durch das konstruktive ersetzt wurde, so war das nur ein neuer Aspekt, der sich aus der Zeit ergab. Musik war immer noch tönend bewegte Form für mich auf einer ausschließlich ideellen Basis. Die Gesetze der musikalischen und kompositorischen Ordnung blieben unangetastet.

In den 50er Jahren begann der große Wandel. Der avantgardistische Kreis zerstörte das metaphysische
Fundament der Musik. Ihre Grundfesten wurden dadurch erschüttert, daß sowohl die geistige wie auch
die soziologische Bindung aufgegeben wurde. Der vom Material her bestimmte rationale
Konstruktivismus wurde so stark weiterentwickelt, daß die Gesetze musikalischen Seins allein aus der
Ratio, nämlich der Zahl und der graphischen Notation abgeleitet wurden. Mensch und Idee waren
ausgeschaltet, bzw. die Idee auf eine rationale Ebene verschoben. Der Mensch als soziologische Basis,
für den die Musik doch letztenendes geschrieben ist, existierte praktisch nicht mehr. Die Musik lebte im luftleeren Raum, konnte nicht mehr atmen und brach in Geräuscheffekten zusammen. Das mag als
periphere Begleiterscheinung noch möglich sein, aber nicht als zentraler Schaffensbereich. Die Musik,
die eigentlich keine mehr darstellt, war zum Scheitern verurteilt. Mein vom Ordnungsproblem bestimmtes Schaffen zeigte wohl zeitweise konstruktive Ansätze. Aber sie waren ganz in ein musikalisch „tönend bewegtes” Musizieren eingebettet und nie Selbstzweck. Denn der Endzweck der Musik ist für mich immer eine geistige Aussage in musikalischer Form.